Wenn Hilflosigkeit einen Namen hat, dann auf jeden Fall Carlos.

 

Man denkt immer, man hat schon alles erlebt, aber dann kommt ein Seelchen und zeigt einem, dass es noch schlimmer geht.

Carlos wurde bestimmt bei einer Familie geboren, ist dort aufgewachsen und wahrscheinlich auch für gutes Geld verkauft worden. Denn, wenn er alles hinter sich hat, wird er ein wunderschöner Kater sein und er war niemals ein Straßenkater, da er dafür einfach zu ruhig und lieb ist.

Warum er plötzlich auf die Straße gelandet ist, werde ich wohl nie erfahren. Vielleicht die Fellpflege, die Verantwortung, oder das Markieren, da er ja nie kastriert wurde.

Carlos wird es uns nie erzählen können, was mit ihm passiert ist, aber seine traurigen Augen, seine verzweifelten Seufzer treffen einen ganz tief ins Herz und man kann spüren, wie er mit seinem Schicksal kämpft.

Carlos lebte schon seit Wochen in unserer Gegend, pendelte zwischen Neu Immerath und Bellinghoven über die Landstraße, wurde von den Leuten gesehen, aber dann doch wieder nicht gesehen und saß oft orientierungslos am Straßenrand.

Ja, und dann passierte, was einmal unweigerlich passieren musste. Carlos wurde von einem Auto erfasst, schwer angefahren und einfach liegen gelassen. Kein kurzes Anhalten, um zu schauen, ob er noch lebt. Kein Anhalten, um ihn von der Straße zu heben, damit er nicht von nachvollgenden Fahrzeugen zermatscht wird. Kein einziger Gedanke an ihn, außer vielleicht der, dass hoffentlich nichts am Auto ist.

Aber Carlos hatte einen Schutzengel. Auch, wenn er eine ganze Zeit liegend und bei vollem Bewußtsein erleben musste, wie weitere Autos an ihm verbeigerast sind, kam dann doch noch Hilfe für ihn.

Angelika kam auf dieser Strecke mit Sven und sah ihn dort liegen. Sie wollte ihn nicht so liegen lassen, hielt halt, um ihn von der Straße zu heben, und bekam einen Schreck, als er sein Köpfchen hob und sie hilfesuchend ansah. Es ist immer schlimm, solche Augenblicke erleben zu müssen. Denn, auf der einen Seite ist man wie erstarrt, auf der anderen Seite muss man aber auch schnell handeln, weil die Autofahrer nicht immer so rücksichtsvoll sind und vorsichtig um einen rumfahren.

Für Carlos waren Angelika und Sven die Schutzengel, die ihm geholfen und die Kraft gegeben haben, nicht aufzugeben. Sie waren bei ihm, warteten, bis Hilfe kam und blieben bei ihm, bis wir ihn schnell zum TA auf Station brachten. Und immer mehr Schutzengel taten sich zusammen, um dieses hilflosen Wesen dem Tod wieder  zu entreißen.

Für Angelika und auch für mich ist Carlos ein kleines Wunder, der es verdient hat, eine zweite Chance zu bekommen. Er ist immer so hilflos, weint wahrscheinlich auch still in sich hinein und wenn ich bei ihm bin, höre ich die traurigen Seufzer aus seiner Kuschelhöhle.

Carlos wird noch lange brauchen, bis seine seelischen Wunden verheilt sind. Er ist so ein lieber Kerl, aber auch so voller Angst und Sehnsüchte. Seine Augen schauen nur traurig und man kann ihnen keinen Schimmer der Freude abgewinnen.

Wir werden seine Geschichte nie erfahren, aber er wird noch lange Zeit brauchen, seine Geschichte zu vergessen, um seine Augen für eine wunderschöne Zeit zu öffnen. Die Angst zu verlieren, die Bilder auf der Straße zu vergessen und wieder das Vertrauen in die Menschen zu gewinnen.

Und bis dahin werde ich still bei ihm sitzen und versuchen, ihm zu zeigen, dass nicht alle Menschen schlecht sind und er nun alle Zeit der Welt hat, sich zu entscheiden. Denn nun ist er in Sicherheit, wird geliebt und muss nie mehr auf die Straße zurück.

Dieses stille Versprechen habe ich ihm gegeben und meine Näschen und ich werden alles dafür tun, dass er es uns auch glauben wird.

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